Raus aus der Zivildienstfalle

von Alfred L. Lorenz

Zeitschrift „4/3", Nr. 2, 1998, S. 71ff

Über den Abbau von Zivildienstplätzen in einem Krankenhaus Ein Mann für alle Fälle. Nett und hilfsbereit, fröhlich. Und ohne Murren macht er meist alles, was so anfällt. Und kostet dabei doch fast nichts. Ein Zwangsarbeiter. Ohne Arbeitnehmerrechte macht er einen Job, für den er sich als das kleinere eines grundsätzlichen Übels entschieden hat. über hundertvierzigtausend junge Männer leben für gut ein Jahr ihres Lebens im Spannungsfeld dieser beiden Sichtweisen. Rund hunderttausend von ihnen arbeiten in Einrichtungen und Betrieben, die einen eindeutigen Arbeitsauftrag haben und diesen mit festeingestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erfüllen. Sie machen meist eine vergleichbare Arbeit: Zividienstleistende. Nachgedacht wird nicht viel in der Gesellschaft, weder über den Zwangscharakter dieser Arbeit noch über den Status dieser Mitarbeiter ohne Mitarbeiterstatus. Aber es dauert ja auch in jedem einzelnen Fall nur gut ein Jahr, dann haben die Jungs es hinter sich. Die anderen mußten eben zum Bund.

Es gibt drei „gute" Gründe, warum sich weder Einrichtungsleitungen, die Verbände, die die Einrichtungen tragen, noch Personalvertretungen darum weiter kümmern:

1. Die Zivis sind beliebt bei den Kolleginnen und Kollegen, eben weil sie jung und freundlich und immer die fehlende helfende Hand sind.

2. Mit Zivis lassen sich Personalengpässe wunderbar beheben.

3. Das „Arbeitsverhältnis" der Zivis wird durch Gesetze und Verordnungen geregelt, die viel mit militärischem Denken und wenig mit dem vertrauten Arbeitsrecht zu tun haben. Das müsste man in Frage stellen, also auch gut kennen.

Und es gibt auch zwei „schlechte" Gründe:

4. Nach einem Jahr sind die immer wieder weg. Was lohnt der Einsatz?

5. Und einen fünften Grund kenne ich aus der eigenen Begleitung eines Projektes zur Abschaffung von Zivildienstplätzen: Die Personalvertretungen müßten sich da raushalten, heißt es, leider, weil das gesetzlich so geregelt sei, daß sie da nichts mitzubestimmen hätten. Zivis würden nicht unter die Mitbestimmung fallen.

Die ersten drei Gründe sind verständlich. Sie sind sehr subjektiv, drücken mehr Stimmung und Gefühl aus. Letztlich sind es Vorwände für Untätigkeit.

Die beiden anderen Gründe aber sind fatal für unsere Gesellschaft. In einer sensiblen Entwicklungsphase werden junge Menschen nicht mit den für ihr künftiges Leben als Arbeitnehmer so wichtigen Erfahrungen, Möglichkeiten und auch nicht mit der dafür geschaffenen Organisation, der Gewerkschaft, bekannt gemacht. Ein vertane Chance, oft für immer.

Unsere Haltung war: Eine Personalvertretung, die hier freiwillig und resignativ Einflußmöglichkeiten aufgibt, wird auch andere Krisen kaum bestehen können, weil es schließlich immer die Möglichkeit gibt zu sagen: Tut mir leid, da kann man nichts machen.

Ich erzähle einmal die Geschichte aus dem Krankenhaus, in dem ich von 1980 bis 1996 Mitglied im Personalrat und von 1986 bis 1992 für die Personalratsarbeit freigestell war. Es ist die Geschichte einer Abschaffung von Zivildienstplätzen in einem Arbeitsbereich, in dem wahrscheinlich gut 10 Prozent der Zivildienstleistenden arbeiten.

Ende der 80er Jahre kam ein Krankenpfleger der Intensivstation, ÖTV-Vertrauensmann, in das Personalratsbüro: „Jetzt hab' ich es satt. Überall nur Hilfskräfte. Wenn du sagst, daß mehr Personal her muß, was kommt: Praktikanten, Hospitanten und jetzt schicken die mir einen Zivi." Solche Leute müßten raus. Der Mann war Kriegsdienstverweigerer und hatte selbst als Zivi Ersatzdienst geleistet.

Erstmals beschäftigten wir uns in der Personalvertretung mit dem Problem und machten folgende Feststellungen:

1. Im Krankenhaus (ein Betrieb mit ca. 1.300 Betten und etwas über 2.000 Beschäftigten) gibt es 46 Zivildienstplätze. Rund 20 sind schon vor 10 Jahren für den Patiententransport eingerichtet worden, die Zivis aber sind inzwischen direkt auf den Stationen eingesetzt, „da können sie ja auch sonst mal zupacken". Öberall im Krankenhausbetrieb sind Zivis tätig: In der Gärtnerei, im Archiv, in der Aufnahme, in der Radiologie, bei den Handwerkern: Wo immer es Handlangertätigkeit gibt, die niemand mehr machen will, oder wo es strukturelle Probleme gibt, weil offizielle Personalberechnungen mit der betrieblichen Wirklichkeit nicht zusammenpassen (z.B. Pforte): Zivis. Alles ohne Mitbestimmung.

2. Feststellung: Es gibt ein rechtliches Gebot der Arbeitsplatzneutralität. Zivis dürfen dort nicht eingesetzt werden, wo die Arbeit üblicherweise von festeingestelltem Personal gemacht wird, im Wortlaut: „Zivildienstplätze dürfen nicht anerkannt werden, wenn sie nachweislich einen bisherigen Arbeitsplatz ersetzen oder eine Einrichtung eines neuen Arbeitsplatz erübrigen sollen." Diese Regelung von 1984 war damals gültig.

3. Wir nehmen über die Zentralstelle KDV in Bremen Kontakt zur „Zivildienst-Szene" auf und erfahren: Die Verbände und Organisationen, die sich mit Fragen des Zivildienstes befassen, betonen die Arbeitsplatzneutralität.

4. Die Zivis haben Probleme bei der Selbstorganisation im Hause, haben keinen Raum, streiten sich mit dem Zivildienstbeauftragten des Hauses.

5. Die Zivis sind oft überfordert: Sie begegnen menschlichen Grenzsituationen in der Pflege, bei denen sie alleingelassen werden.

6. Wir recherchieren, lesen die Gesetze vorwärts und rückwärts und erkennen: Es gibt auch hier ein Mitbestimmungsrecht. Zivis werden für ganz bestimmte, gut beschreibbare Aufgaben eingesetzt. Immer machen auch regulär Beschäftigte eine vergleichbare oder gar dieselbe Arbeit. Also ist der Zivi-Einsatz Ausdruck einer Organisationsänderung, zumindest einer Geschäftsverteilung. Geschäftsverteilungspläne unterliegen der Mitbestimmung, nach allen Personalvertretungsgesetzen, dem Betriebsverfassungsgesetz und den Mitarbeitervertretungsregelungen.

7. Auch wenn die Zivis vom Bundesamt für den Zivildienst einberufen werden, trifft die Dienststelle eine Entscheidung, eine Personalentscheidung. Sie hat maßgeblichen Einfluß darauf, welcher Zivi kommt, weil sie dem Bundesamt für den Zivildienst mitteilt, wer auf welchen Zivildienstplatz einberufen werden soll. Zivis suchen sich ihre Plätze in der Regel selbst. Für Personalentscheidungen gibt es ebenfalls Mitbestimmungsregelungen. Der Direktion wurde schon mal mitgeteilt, daß man beabsichtige, Mitbestimmungsrechte auszuüben, und daß das langfristige Ziel sei, alle Zivildienstplätze abzuschaffen.

Das war eine gravierende Entscheidung. Bevor sie getroffen wurde, haben wir uns weiter umgehört, an Konferenzen und Beratungen teilgenommen. Wir haben uns versichert: Ein Abbau von Zivildienstplätzen dort, wo reguläre Arbeit stattfindet, ist in starkem Interesse der Verbände. Wir informierten uns und fanden heraus, daß im Umfeld des Krankenhauses, also in der Stadt Bremen, genug Zivildienstplätze vorhanden sind.

Wir sind also gegen zwei zu erwartende Einwände gewappnet. Niemand kann kommen und sagen: „Ihr schadet den Zivis. Die armen Leute kriegen keine Plätze und müssen nachher noch weit weg von zu Hause eingesetzt werden." Und niemand kann behaupten: „Ihr wollt nur dem Krankenhaus schaden. Die Zivis selbst denken da völlig anders."

Wir nahmen intensiven Kontakt zu den Zivis in unserem Krankenhaus auf, luden ihren Sprecher häufig, eine zeitlang auch regelmäßig, zu Personalratssitzungen ein. Ein Personalratsvertreter nahm an den gesetzlich vorgeschrieben Versammlungen der Zivis teil, auch wenn es der Zivildienst-Betreuer der Dienststelle nicht gern sah. Wir lernten dazu, wir lernten auch die Rechte der Zivis kennen.

Der Belegschaft wurde die Linie erklärt: Abbau aller Zivildienstplätze, die reguläre Arbeitsplätze ersetzen, keine Zivis als „Hiwis". Es gibt viel Widerspruch, wir bekamen richtig Ärger mit manchen Leuten, die uns auch androhten, uns nicht wieder zu wählen, wenn wir ihnen die Zivis wegnähmen. Oft kamen Leute ins Personalratsbüro: „Hier haben wir so eine Arbeit, die wir nicht schaffen, warum kriegen wir dafür keinen Zivi?" Wenn der Personalrat dann sagte: „Weil es keine Zwangsarbeiter und Handlanger geben soll", dann klang das manchem nach ideologischer Verblendung. Die Direktion sah das erstmal auch so.

Wir hatten aber gute Gründe für unsere Zielsetzung und für unser Handeln:

1. Ein Krankenhaus, das mit Zivis Personalplanung macht, wird bei Verhandlungen mit Kostenträgern oder bei der Beurteilung durch Wirtschaftsprüfungen darauf festgenagelt. In einem Prüfbericht heißt es: „Einen Patientenbegleitdienst gibt es nicht. Die Kosten für den Einsatz von Zivildienstleistenden in diesem Bereich sind angemessen." Hätte das Krankenhaus einen Patientenbegleitdienst mit festeingestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gehabt, hätte die Wirtschaftlichkeitsprüfung das anerkannt. Es gibt keine einzige Bestimmung im ganzen komplexen und massiv auf Kostensenkung ausgerichteten Gesetzes- und Verordnungswerk der Krankenhausfinanzierung, die verlangt, Kosten durch Zivi-Einsatz zu minimieren. Das gilt für die Altenpflege und Behindertenarbeit genauso. Also ist Zivi-Einsatz immer auch Ausdruck einer Gestaltungsschwierigkeit und von organisatorischem Unvermögen der Einrichtungsleitung.

2. Ende der 80er Jahre wurde ein massiver Rückgang der Zahlen von Zivis prognostiziert: Die „Horrorkurve" der Militärplaner (Rückgang der Zahlen junger Männer und Gefahr für die Bestandsstärke der Bundeswehr) ging auch die Einrichtungen etwas an, die sich mit Zivis organisieren. Es war die Gefahr absehbar, daß Zivildienstplätze mangels Angebot an Zivis unbesetzt bleiben. Diese Gefahr hatte sich damals durch die Auswirkungen des Golfskriegs und die danach gestiegene Zahl der Kriegsdienstverweigerer verringert. Zugleich hat sich aber die Zahl der Zivildienstplätze massiv erhöht: Es gibt weit mehr Plätze als Zivis, nur gut 70 Prozent sind derzeit besetzt. Die Zivis können ein wenig aussuchen, wo sie hingehen, was sie machen wollen. Wieder ist da für den konkreten Betrieb, der mit Zivis kalkuliert, die Gefahr, daß der Zivildienst-Platz frei bleibt.

Dann begann ein gelegentliches Mitbestimmungsgerangel: Organisationsänderungen und Personalentscheidungen wurden immer mit dem konkreten Zivi-Problem abgeglichen. So entstand Mitbestimmung in Zivi-Fragen. Dann tat sich eine gute Möglichkeit auf, doch zu einer Linie mit der Leitung des Krankenhauses zu kommen: Organisatorische Veränderungen in der Pflege, der Übergang von der Funktionspflege zur Bereichspflege führten zu besser geplanter Arbeit der Pflegenden, sie konnten nicht mehr jederzeit auf Abruf einen Patienten zu Untersuchungen begleiten: Es wurde die Einrichtung eines Patientenbegleitdienst notwendig. Bis dahin wurde die Begleitung von Patienten zu Untersuchungen von den Zivis gemacht. Waren sie nicht da oder bereits mit einem Patienten unterwegs, dann mußten die Pflegenden selbst losziehen.

Das Angebot des Personalrats: Abschaffung aller Zivildienstplätze in der Verwaltung und im technischen Bereich, Umwidmung der verbleibenden ca. 20 Stellen in Pflegestellen mit dem Inhalt: Patientenbegleitung, Aufbau eines Patientenbegleitdienstes, von Anfang an mit festeingestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter plus Zivis. Danach Abbau der Zivildienstplätze und schrittweises Ersetzen durch festeingestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Ziel, einen Patientenbegleitdienst mit rund 10 Festeingestellten ohne Zivis im Hause zu haben. Wichtiges Prinzip: Kein Zivi muß das Haus verlassen, alle machen ihren Dienst zu Ende, wie er jetzt läuft.

In manchen Fällen, in denen die Umstellung auf ein Arbeiten ohne Zivis schwerer zu organsieren war oder wo die Personalplanung etwas längerfristig war: einmaliges Wiederbesetzen des Platzes. Sperren der Zivildienstplätze beim Zivildienstamt. Ziel: Ab 1996 gibt es nur noch 4 Zivildienstplätze im Kulturbereich des Krankenhauses. Ein Kompromiß wurde gemacht: Eine Außeneinrichtung des Krankenhauses hatte zwei Zivildienstplätze für einen Fahrdienst. Der war - noch bevor der Personalrat das Gespräch mit der Direktion gesucht hatte - in der Pflegesatzvereinbarung mit den Krankenkassen für die Patienten dieser Einrichtung vereinbart worden. Das bleibt erstmal so.

Fazit: Von ehemals 46 Zivildienstplätzen sind sechs geblieben: Die zwei im Fahrdienst der psychiatrischen Tagesklinik und die vier für den Kulturbereich umgewidmeten. So ist die Lage heute. Die Plätze im Kreativbüro des Kulturbereichs im Krankenhaus sollen bleiben. Das Krankenhaus hat für den Stadtteil eine aktive kulturelle Funktion übernommen, macht Kulturveranstaltungen, kooperiert mit Initiativen und Projekten, betreut eine Galerie. Alles Tätigkeiten, die nicht zum gesetzlichen Aufgabenbereich des Krankenhauses gehören. Diese Plätze sollten ausdrücklich bleiben: Wenn es denn die Wehrpflicht gibt und wenn es dadurch einen Zivildienst gibt, dann soll der Einsatz dort geschehen, wo sich die Tätigkeit vieler Akteure mehr in Projekten, Initiativen und Aktionen regelt und nicht auf festen Arbeitsplätzen.

Das Krankenhaus hat bei alledem schließlich nicht gelitten. Für den Bereich des Krankenhauses gilt nach meiner Erfahrung: Die Zivildienstleistenden sind immer mit regulärer Arbeit befaßt. Wenn sie gehen, muß etwas geschehen, weil die Arbeit, die sie bisher gemacht haben, von anderen Menschen oder auf andere Art gemacht werden muß. Oft wurden gerade in den Bereichen, in denen früher die Zivis tätig waren, gute neue und moderne Arbeitseinheiten geschaffen, es wurde zielstrebiger unangenehme Arbeit an Maschinen abgegeben. Beispiele aus der Entwicklung in unserem Haus: Die Pforte z.B. wurde als zentrale Schaltstelle zur Öffentlichkeit überhaupt erst richtig wahrgenommen und mit Fachkräften besetzt. Die Aufgabenverteilung zwischen Empfang und der Patienten- und der sog. Verwaltungsaufnahme ist neu geregelt, der Eingangsbereich des Hauses wurde bei einem Umbau so gestaltet, daß ein Empfangstresen entstand, dort, am Empfang, sind inzwischen Mitarbeiterinnen beschäftigt, die früher bei uns nicht tätig waren, manche mit ganz anderen Berufserfahrungen, z.B. in Arztpraxen oder aus der Hotellerie. Der Patientenbegleitdienst arbeitet heute mit den zu Beginn projektierten ca. 10 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern effektiv. Im Fahrdienst werden Kraftfahrer beschäftigt. Die Mikroverfilmung in der Radiologie geschieht mit neuen Geräten durch die MTAs selbst, wenn die Bilder nicht inzwischen unmittelbar in EDV-Systemen gespeichert werden. Das sind praktische Beispiele.

Woher kamen die Stellen, wird sicher gefragt. Beim Aufbau des Patientenbegleitdienstes wurden teilweise Stellenzuwächse nach Einführung der Personalverordnung Psychiatrie (PsychPV) und der inzwischen wieder aufgehobenen Personalregelung Pflegedienst (PPR) genutzt. Beim Empfang wurde die Stellen u.a. durch Aufgabenverlagerung aus der Verwaltung heraus geschaffen.

Der Fall, daß durch den Einsatz von Zivildienstleistenden neue Arbeitsfelder erschlossen werden, kommt in den Krankenhäusern seltener vor als in der freien Wohlfahrtspflege. Aber auch da gilt, daß entweder bereits zu Beginn der Entwicklung reguläre Arbeit gemacht wird.

Ein Beispiel: Der Einsatz von Integrationshelfern für behinderte Kinder in regulären Kindergartengruppen wird von Anfang an begleitet durch den Abbau in den sonderpädagogischen Kindergärten, was als Konzept natürlich sehr gut und richtig ist. Ich will nur sagen: da fallen an anderer Stelle Arbeitsplätze weg. In der Antwort auf die Große Anfrage der SPD (BT-Drs. 13/9330) wird ja auch ohne Umschweife der Vergleich zu den AB-Maßnahmen gezogen: Der Zivildienst wird hier als arbeitsmarktpolitisches Instrument gesehen.

Unser Ziel war nicht, dem „drohenden" Wegfall der Wehrpflicht zuvorzukommen, der ja die Folge hätte, daß es einfach auch keinen Zivildienst mehr gäbe, bewegt hat uns, die Zivildienstplätze abzubauen - sozusagen rechtzeitig.

Es geht um einen ganz zentralen Punkt, den ich zusammenfassend noch einmal betonen will:

In nahezu allen Zivildienststellen machen junge Männer eine Arbeit, die notwendig zu machen ist, und die auch von anderen Menschen in regulären Arbeitsverhältnissen gemacht wird. Die Zivildienstleistenden aber haben keine Rechte wie Arbeitnehmer, sie unterliegen einer Art Kommandostruktur, wie die Soldaten - auch wenn sie natürlich in den vielen Einsatzorten im sozialen Bereich nur sehr, sehr selten herumkommandiert werden wie auf dem Kasernenhof. Aber Rechte haben sie nicht - oder eben völlig andere, die ihre Kolleginnen und Kollegen, und in aller Regel auch die Interessenvertretungen ihrer Kolleginnen und Kollegen nicht kennen. Wie gesagt: Es wäre etwas anderes, wenn diese Zeit in sozialen Einrichtungen und Initiativen verbracht wird, in denen alle Akteurinnen und Akteure es kennen, daß man Projekte für kurze Zeit macht, daß man für ein Honorar hier oder einen kleinen Werkvertrag dort jobbt, in dem es auf kreative Gestaltung der Welt mehr ankommt als auf Ableistung regulärer und sehr gebrauchter Arbeit. Dann wären wir auch näher an der altersgemäßen Erlebniswelt der jungen Männer, wir wären näher am gesellschaftlichen Engagement. Öber ehrenamtliches Engagement muß auf dieser Tagung ohnehin geredet werden.

Ganz an den Schluß meiner Ausführungen werde ich den für mich wichtigsten Gedanken stellen, einen pazifistischen.

Ich weiß, daß viele junge Männer sich heute die alternative Frage stellen: „Gehe ich zum Bund oder mache ich Zivildienst?" Das erwägen sie auch ganz pragmatisch, die einen wie die anderen, denken an ihr Alltagsleben, ans Geld, an die Karriere. Daran, das Kriegshandwerk zu erlernen, denken die einen in der Regel nicht; daran, den Kriegsdienst zu verweigern, die anderen manchmal erst in zweiter Linie. Unser alltäglicher Sprachgebrauch läßt leicht vergessen, daß es sich um einen zivilen Ersatzdienst für den Kriegsdienst mit der Waffe handelt. Ich habe mich immer gefragt, warum denn dieser Ersatzdienst niemals als Kontrapunkt zum Kriegsdienst konzipiert wurde. Warum gibt es praktisch keine Zivildienstplätze, bei denen der Kriegsdienstverweigerer etwas für ein friedliches Leben der Menschen tut? Frieden ist für mich in diesem Kontext ein aktives Konzept: Solange mit der Option Krieg operiert wird, ist Frieden die Maßnahme oder das Bündel von Maßnahmen und Handlungen von Menschen, das den Krieg nicht zuläßt, verhindert, zumindest im Augenblick hinauszögert. Wäre der Ersatzdienst für den Kriegsdienst als Friedensdienst, also als eine Art Anti-Kriegsdienst konzipiert, säßen wir heute nicht hier, um die Folgen seines Wegfalls für unser soziales System zu beraten.

Alfred L. Lorenz ist Diplom-Psychologe und arbeitet am Zentralkrankenhaus Bremen-Ost. Von 1980 bis 1996 war er dort Mitglied im Personalrat und von 1986 bis 1992 für die Personalratsarbeit freigestellt.

Dieser Beitrag wurde als Referat bei dem Fachgespräch „Was kommt nach dem Zivildienst" der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen am 11. Mai in Bonn gehalten.

 
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